Rechtsprechung

Erfordernis, Beschreibung an zulässige Ansprüche „anzupassen“ oder gar umfassend neu zu schreiben, könnte bald Geschichte sein – Caveat: zumindest für DE können freiwillige Streichungen Vorteile bringen

EPA BoA T 56/21 (F. Hoffmann-La Roche AG) vom 4. Oktober 2024

Die Prüfungsabteilung des EPA verlangt regelmäßig, dass der Anmelder die Beschreibung an einen zulässigen Anspruchssatz „anpasst“. Dies ist ein Erfordernis, das es nur beim EPA gibt. In den letzten Jahren hat dieses Erfordernis, insbesondere aufgrund mehrerer Änderungen der Prüfungsrichtlinien des EPA, zu langwierigen und kostspieligen Änderungen von Teilen oder sogar der ganzen Beschreibung, einschließlich unnötiger Diskussionsrunden mit Prüfern, und letzten Endes zu einer Reihe widersprüchlicher Entscheidungen der Beschwerdekammern geführt.

Kein anderes Patentamt weltweit kennt das Erfordernis, die Beschreibung (d. h. die ursprünglich eingereichte Offenbarung) umfassend umzuschreiben, sobald man sich auf einen zulässigen Anspruchssatz geeinigt hat. Das Erfordernis, dass die Ansprüche klar und prägnant sein müssen (bzw. nicht „unbestimmt“ sein dürfen), ist in allen wichtigen Gerichtsbarkeiten zu finden ist. Demgegenüber besteht das Erfordernis, dass die Beschreibung vor der Erteilung geändert werden muss, um vermeintliche „Unstimmigkeiten“ zwischen den Ansprüchen und der Beschreibung zu beseitigen, ausschließlich für das EPA. Angeblich soll dieses Erfordernis den erstinstanzlichen Gerichten, die über die Verletzung des erteilten EP-Patents zu entscheiden haben, bei der Bestimmung des Schutzbereichs der Ansprüche „helfen“.

Ohne auf die Einzelheiten der sich daraus ergebenden Kontroverse in der Rechtsprechung einzugehen, soll nur ein Aspekt hervorgehoben werden, der für Anmelder besonders ärgerlich ist: Die Prüfer führen häufig von sich aus Formulierungen ein (oder verlangen, dass der Anmelder Formulierungen in die Beschreibung aufnimmt), die besagen, dass bestimmte Ausführungsformen „nicht Teil der Erfindung“ sind. Natürlich ist eine solche Aussage, wenn sie überhaupt möglich ist, für den Anmelder höchst riskant und der Anmelder wird sich entweder gegen diese Forderung wehren oder das Problem umgehen, indem er die betreffende Passage der Beschreibung einfach streicht (zur Frage, ob das Streichen von Ausführungsformen, die nicht mehr unter den Wortlaut eines geänderten Anspruchs fallen, unter bestimmten Umständen von Vorteil für den Anmelder sein kann: siehe Diskussion am Ende dieses Artikels).

Eine gute Nachricht für die Anmelder ist dabei die länger erwartete Entscheidung T 56/21 der Beschwerdekammer vom 4. Oktober 2024, die auch auf der diesjährigen „case law“ Konferenz der Beschwerdekammer als „highlight“ hervorgehoben wurde, da diese in der Tat den Anfang vom Ende dieser strengen Praxis bedeuten könnte.

Der Fall, der der Entscheidung T 56/21 zugrunde lag, wurde von der am europäischen Patentrecht interessierten IP-Gemeinschaft im Vorfeld bereits heiß diskutiert, denn:

(a)     die Kammer hatte zunächst angedeutet, die Frage, ob vom Anmelder eine „Anpassung“ der Beschreibung an die zulässigen Ansprüche verlangt werden kann, an die Große Beschwerdekammer zu verweisen, und

(b)     einige Kommentatoren hatten erwartet, dass die Fragestellung in dieser Entscheidung mit den grundlegenderen Fragen, die der Vorlage G 1/24 zugrunde liegen, kombiniert werden könnte, d.h. mit der Frage, ob es (überhaupt) zulässig ist, auf die Beschreibung zurückzugreifen, um Ansprüche zu „interpretieren“, die an sich klar sind.

Letztendlich hat die Kammer 3.3.04 beschlossen, der Großen Beschwerdekammer keine Fragen vorzulegen, sondern ist zu dem Schluss gekommen, dass es im EPÜ keine Grundlage dafür gibt vom Anmelder zu verlangen, dass er die Beschreibung in irgendeiner Form an einen zulässigen Anspruchssatz „anpasst“. Die Kammer hat sich auch ausführlich (in einem obiter dictum) zur Frage geäußert, ob die Beschreibung überhaupt eine wichtige Rolle bei der Auslegung der Ansprüche spielen sollte, wobei die Kammer den „Vorrang der Ansprüche“ hervorhebt und allgemein „Vorbehalte“ gegenüber der Verwendung der Beschreibung zur Auslegung der Ansprüche zum Zweck der Prüfung einer Anmeldung äußert.

Ungeachtet der Tatsache, dass keine Vorlage erfolgt ist und diese Entscheidung nicht mit der umfassenderen Vorlagefrage G 1/24 verbunden wurde, ist die Entscheidung wichtig und hat Gewicht. Insbesondere da eine ausführliche Erörterung der bestehenden Rechtsprechung im Hinblick auf die oben skizzierten Fragen vorgelegt wird:

  • In welchem Umfang soll (muss) die Beschreibung zur Auslegung von Ansprüchen herangezogen werden?
  • Gibt es eine Grundlage im EPÜ, um eine „Anpassung“ der Beschreibung an gewährbare Ansprüche zu verlangen?

Insgesamt enthält die Entscheidung eine ausführliche und stringente Analyse vorgelegt, die von den Prüfungsabteilungen nicht ohne Weiteres ignoriert werden kann. Tatsächlich haben Kommentatoren und die IP-Blogosphäre die Entscheidung aufgegriffen und es scheint Konsens darüber zu herrschen, dass diese Entscheidung zum Ende der derzeitigen strengen EPA-Anforderungen zur „Anpassung“ der Beschreibung an einen zulässigen Anspruch führen könnte.

Die Begründung der Entscheidung T 56/21 ist im Wesentlichen in zwei getrennte Abschnitte unterteilt. Unter den Punkten 1 bis 52 der Entscheidungsgründe prüft die Beschwerdekammer ganz grundsätzlich, ob Art. 69 EPÜ bei der Prüfung einer Anmeldung (vor der Erteilung) eine Rolle spielen sollte und kommt zum Schluss, dass es weder notwendig noch zweckmäßig sei, den Schutzumfang der Ansprüche während der Prüfung zu bestimmen, und dass im Prüfungsverfahren nur Art. 84 (Klarheit der Ansprüche) von Relevanz ist, nicht aber Art. 69 EPÜ.

In der Tat ist der Bezugspunkt für die Prüfung der Patentierbarkeit einer Anmeldung der Stand der Technik und eine Bestimmung des Schutzumfangs ist nicht erforderlich. Eine völlig andere Frage betrifft den bei der Durchsetzung eines Patents nach der Erteilung relevanten „Schutzumfang“, der durch die Ansprüche gewährt und im Hinblick auf den Verletzungsgegenstand bestimmt wird (siehe Punkt 15 auf Seite 10 der Entscheidung, der sich u. a. auf G 1/98 bezieht).

Die Schlussfolgerungen der Beschwerdekammer zu dieser Frage lassen sich wie folgt zusammenfassen (siehe Entscheidungsgründe, Nr. 52; Hervorhebungen und Auslassungen hinzugefügt):

(a)     In Verfahren vor dem EPA ist der Umfang des durch ein Patent gewährten Schutzes nur für die Beurteilung nach Artikel 123 Abs. 3 EPÜ (im Verfahren nach der Erteilung) relevant.

(b)     Die Beurteilung der Klarheit und der Stützung des beanspruchten Gegenstands durch die Beschreibung vor der Erteilung eines Patents ist eine andere Problematik als die Bestimmung des Schutzumfangs, der durch erteilte Ansprüche nach der Erteilung gewährt wird. Zweck der Beurteilung von Artikel 84 EPÜ als Teil der Prüfung der Patentierbarkeit ist es, zu einer Definition des patentierbaren Gegenstands in Form von technischen Merkmalen zu gelangen, die den Anspruchsgegenstand vom Stand der Technik unterscheiden.

(c)     Artikel 69 Abs. 1 EPÜ und das Protokoll befassen sich nicht mit der Definition des Gegenstands nach Artikel 84 Satz 1 EPÜ. Sie befassen sich vielmehr mit den Wirkungen eines Patents nach der Erteilung in den Vertragsstaaten. Sie sollen verhindern, dass der durch ein Patent gewährte Schutz auf eine „buchstäbliche Verletzung“ beschränkt wird, die sich auf eine enge Auslegung der Patentansprüche stützt.

(d)     Artikel 69 EPÜ und das Protokoll befassen sich nicht mit der „Auslegung“ von Ansprüchen im Sinne einer Anspruchskonstruktion, d.h. der Bestimmung der Bedeutung der Begriffe eines Anspruchs und seines Gegenstands zum Zwecke der Beurteilung der Patentierbarkeit. Diese Vorgaben bieten daher keine allgemeine Methodik zur Bestimmung des beanspruchten Gegenstands für die Beurteilung der Patentierbarkeit bei der Prüfung.

(e)     Wenn man sich auf die Beschreibung verlässt, um Unklarheiten oder Widersprüche in den Ansprüchen einer Anmeldung zu klären, bevor man prüft, ob die Ansprüche den Erfordernissen der Klarheit und der Stützung nach Artikel 84 EPÜ genügen, entzieht man den Ansprüchen ihre Funktion im Sinne von Artikel 84 Satz 1 EPÜ.

(f)      Es ist nicht der Zweck der Prüfung europäischer Patentanmeldungen, äquivalente, möglicherweise verletzungsrelevante Sachverhalte zu bestimmen. Die Auslegung von Ansprüchen in einer Weise, die den beanspruchten Gegenstand bei der Beurteilung der Patentierbarkeit über den strengen Wortlaut der Ansprüche hinaus erweitert, verzerrt diese Beurteilung.

(g)     Die Bedeutung der von einem Anmelder vorgebrachten Ansprüche muss verstanden werden („Auslegung“), bevor die Erfüllung der Patentierbarkeitserfordernisse des EPÜ beurteilt werden kann. Die Feststellung mangelnder Klarheit ist ein mögliches Ergebnis einer solchen Auslegung, nicht eine Voraussetzung für die Auslegung der Ansprüche. Da erteilte Ansprüche eher den Charakter einer Rechtsnorm als den einer Vertragsklausel haben, sollten die Ansprüche objektiv (nicht subjektiv) auf der Grundlage des üblichen technischen Verständnisses der Merkmale im Kontext des Anspruchs als Ganzes ausgelegt werden (siehe T 10/22, [...]). Die Beschreibung liefert den Gesamtzusammenhang und, was noch wichtiger ist, die Offenbarung, die den beanspruchten Gegenstand stützt […]. Dennoch sollte das Verständnis der Offenbarung nicht die Definition des Gegenstands in den Ansprüchen durch implizite Merkmale ersetzen oder ergänzen, sondern eine Definition des patentierbaren Gegenstands in den Ansprüchen ermöglichen.

(h)     Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Artikel 84 EPÜ den Artikel 69 Abs. 1 EPÜ und das Protokoll nicht wechselseitig ergänzt oder ihnen untergeordnet ist. Artikel 69 Abs. 1 EPÜ und das Protokoll sind daher bei der Prüfung [auf Patentfähigkeit] nicht anzuwenden [...].

 

Der zweite Teil der Entscheidung T 56/21 (Ziffern 53 bis 99) befasst sich dann konkret mit der Frage, ob vom Anmelder verlangt werden kann, die Beschreibung an die zulässigen Ansprüche nach Art. 84 EPÜ und/oder Regel 48 Abs. 1 lit. c) EPÜ anzupassen.

Die Kammer verneint diese Frage recht summarisch (siehe Entscheidungsgründe, Nr. 99, Hervorhebungen hinzugefügt):

(a)     Artikel 69 EPÜ und sein Protokoll befassen sich nicht mit der Beurteilung der Patentierbarkeit bei der Prüfung vor dem EPA, sondern mit dem Schutzumfang eines europäischen Patents im Rahmen eines nationalen Verfahrens nach einer solchen Prüfung. Artikel 69 EPÜ und das zugehörige Protokoll sind daher im Erteilungsverfahren vor dem EPA nicht anwendbar.

(b)     Artikel 84 EPÜ und Regel 43 EPÜ sind keine logische Folge von Artikel 69 EPÜ, auch wenn die Ansprüche das wichtigste Kriterium zur Bestimmung des Schutzumfangs sind. Folglich sind die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ und der Regel 43 EPÜ bei der Prüfung einer Patentanmeldung getrennt und unabhängig von Überlegungen zum Schutzumfang zu beurteilen.

(c)     Artikel 84 und Regel 43 EPÜ legen die Erfordernisse für die Ansprüche fest. Sie bieten keine Rechtsgrundlage für eine zwingende Anpassung der Beschreibung an Ansprüche mit einem eingeschränkten Gegenstand. Innerhalb der Grenzen des Artikels 123 EPÜ kann der Anmelder die Beschreibung jedoch von sich aus ändern.

(d)     Regel 48 EPÜ betrifft die Veröffentlichung einer Anmeldung und die Vermeidung von Ausdrücken, die gegen die „guten Sitten“ oder die öffentliche Ordnung verstoßen oder von bestimmten verunglimpfenden oder irrelevanten Aussagen. Regel 48 EPÜ sieht kein Eintragungshindernis vor, das auf der Aufnahme von lediglich „unerheblichen oder unnötigen“ Angaben in die für die Erteilung vorgesehene Beschreibung beruht und noch weniger auf „Abweichungen“ zwischen dem beanspruchten und dem in der Beschreibung offenbarten Gegenstand.

Der unter d) aufgeworfene Punkt bezieht sich auf die von Prüfungsabteilungen häufig vorgebrachte Forderung, dass nummerierte Ausführungsformen, die manchmal am Ende der Beschreibung enthalten sind, entfernt werden müssen, da sie „überflüssig“ seien oder mit den Ansprüchen „verwechselt“ werden könnten. Die Kammer kommt zu dem Schluss, dass das EPÜ für ein solches Erfordernis keine Grundlage bietet.

Eine weitere wichtige Schlussfolgerung ergibt sich aus Entscheidungsgrund 102 auf Seite 83 der Entscheidung. Dort geht die Kammer auf das Argument ein, dass die Harmonisierung der Praxis der nationalen Gerichte „erfordere“, dass die Beschreibung mit den Ansprüchen in Einklang gebracht wird. Diesbezüglich stellt die Kammer fest:

Eine solche Harmonisierung der Praxis der nationalen Gerichte durch Auslegung des Artikels 84 EPÜ entgegen seinem Wortlaut liegt jedoch außerhalb der Befugnisse des EPA (siehe T 712/10, Punkt 8.2 der Gründe). Wenn der Gesetzgeber es für gerechtfertigt hält, zu verlangen, dass die Beschreibung an den Gegenstand der für zulässig erachteten Ansprüche angepasst wird, sollte er die entsprechende Rechtsgrundlage durch eine Änderung des EPÜ schaffen.

Die Beschwerdekammer erörtert in T 56/21 auch die vielzitierte EPG-Entscheidung NanoString Technologies Inc. et al. vs. 10x Genomics Inc. et al, welche (unter anderem) fordert, dass jegliche Diskrepanz zwischen dem Gegenstand desselben Patents in Verletzungs- und Nichtigkeitsverfahren zu verhindern ist. Während dies in gerichtlichen Verfahren, in denen beide Fragen parallel behandelt werden, sinnvoll oder sogar unerlässlich sein mag, hat die Beschwerdekammer „Vorbehalte“ gegen die Auslegung von Ansprüchen im Erteilungsverfahren soweit dies mit der Absicht erfolgt, den Schutzumfang in Bezug auf mögliche (nicht bekannte) verletzende Gegenstände zu bestimmen. Vielmehr sei der Inhalt und die Bedeutung der Ansprüche unabhängig von Überlegungen zu bestimmen, welcher Schutzumfang angemessen sein könnte (siehe Entscheidungsgrund Nr. 51 auf Seite 36 der Entscheidung). Auch hier weist die Kammer darauf hin, dass der „Bezugspunkt“ für die Beurteilung der Patentierbarkeit und der Verletzung unterschiedlich ist.

Was nun die praktischen Ratschläge für die Anmelder betrifft, so wird es sicherlich eine Weile dauern, bis diese und andere Entscheidungen in die Prüfungsrichtlinien und dann in die Praxis der Prüfungsabteilungen aufgenommen werden. Auch muss das Ergebnis des Verfahrens G 1/24 abgewartet werden. Der Kern der Entscheidung T 56/21 ist jedoch so prägnant, dass es sinnvoll erscheint, einen besonders hartnäckigen Prüfer damit zu konfrontieren:

Bei der Prüfung einer Patentanmeldung bieten weder Artikel 84 noch die Regeln 42, 43 und 48 EPÜ eine Rechtsgrundlage für die Forderung, dass die Beschreibung an die zulässigen Ansprüche eines engeren Gegenstands angepasst werden muss.

Um dem Prüfer die Möglichkeit zu geben „sein Gesicht zu wahren“, wird jedoch empfohlen, in die Beschreibung „boiler plate“ Sätze einzufügen, die nur das Offensichtliche wiedergeben, so wie bspw. „Die Erfindung ist in den beigefügten Ansprüchen definiert“ oder „Beispiele/Ausführungsformen, die nicht unter die Ansprüche fallen, sind als Vergleichsbeispiele/Referenz angegeben“. Es wird auch empfohlen den Wortlaut des Anspruchs 1 in die Zusammenfassung der Erfindung zu übernehmen (sofern dies nicht bereits von Anfang an der Fall ist), sowie alle anderen formalen Anforderungen zu erfüllen, die in der Regel von den Prüfern gestellt werden, wie z. B. eine kurze Erörterung des einschlägigen Stands der Technik im Abschnitt „Hintergrund“ oder die Entfernung aller Fälle von „Einbeziehung durch Bezugnahme“. Im Gegensatz dazu sollten die Anmelder den Vorschlägen der Prüfungsabteilung widerstehen, der Beschreibung Erklärungen hinzuzufügen, dass bestimmte Ausführungsformen „nicht Teil der Erfindung“ sind. Wenn es dennoch notwendig ist oder wenn die schnelle Erteilung eines Patents wichtig ist, können besonders „anstößige“ Passagen der Beschreibung einfach gestrichen werden (siehe auch den folgenden, letzten Teil dieses Artikels).

Allerdings: Freiwillige Änderungen können sinnvoll sein, wenn ein Verletzungs­verfahren in Deutschland in Betracht kommt

In Ergänzung zum oben Beschriebenen kann es zumindest für Deutschland und unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für den Anmelder in der Tat vorteilhaft sein, das freiwillige Streichen von Ausführungsformen in Betracht zu ziehen, nämlich von solchen Ausführungsformen, die von den ursprünglich angemeldeten Ansprüchen erfasst waren, aber nach Änderungen nicht mehr unter den Anspruchswortlaut fallen.

Nach ständiger deutscher Rechtsprechung und auch im Einklang mit der sich entwickelnden Rechtsprechung des EPG müssen Patentansprüche immer unter Berücksichtigung der Beschreibung und der Figuren des Patents ausgelegt werden. Dies gilt auch für Ansprüche, die scheinbar klar sind, denn die „Klarheit“ ist das Ergebnis einer Auslegung.

Unter Berücksichtigung dieses allgemeinen Ansatzes hatte der Bundesgerichtshof im Jahr 2011 darüber zu entscheiden, ob die folgende Formulierung „…, dass die Klemmen (15) zum Festklemmen der Litzen an den entgegengesetzten Enden der Vorrichtungen ausgeführt sind“ strikt voraussetzt, dass die Ausführungsform mindestens zwei Klemmen aufweist oder ob auch Ausführungsformen, die nur eine Klemme aufweisen, im Wege der Äquivalenz von der Anspruchsformulierung erfasst wären (BGH, X ZR 16/09 „Okklusionsvorrichtung“).

Das Gericht vertrat die Auffassung, dass das Patent mindestens zwei Klemmen an den gegenüberliegenden Enden der Vorrichtung verlange und verneinte eine Verletzung durch Ausführungsformen, die nur eine Klemme aufweisen, im Wege der Äquivalenzlehre. Das Gericht stützte sich dabei auf die Angaben in der Beschreibung, in der es heißt: „[0027] ... der Stoff kann auf sich selbst gestülpt werden, um eine Vertiefung oder Aussparung zu bilden, und der Stoff kann um diese Vertiefung herum geklemmt werden, um eine leere Tasche (nicht gezeigt) zu bilden… bevor der Stoff zugeschnitten wird“.

Unter Berücksichtigung dieser Offenbarung kam das Gericht zu dem Schluss, dass, wenn die Beschreibung mehrere Möglichkeiten zur Erzielung eines bestimmten technischen Effekts offenbart, aber nur eine dieser Möglichkeiten in den Patentanspruch eingeflossen ist, die Verwendung einer der übrigen Möglichkeiten regelmäßig keine Verletzung des Patents durch äquivalente Mittel darstellt. Dies bedeutet, was offenbart, aber nicht beansprucht wird, wird (vom Schutzbereich) „ausgeschlossen“. Dieser rechtliche Ansatz wurde in den Entscheidungen BGH, X ZR 69/10 „Diglycid-Verbindung“ (2011) und BGH, X ZR 29/15 „Pemetrexed“ (2015) bestätigt und präzisiert. Die Entscheidungen bestätigen, dass Gegenstände, die in der Beschreibung ausdrücklich offenbart sind, aber nicht beansprucht werden, als nicht beansprucht gelten, und daher nicht unter den Äquivalenzbereich fallen.

Wird also die Beschreibung nicht an die geänderten Ansprüche angepasst, indem nicht beanspruchte Gegenstände in der Beschreibung belassen werden, kann dies ein Hindernis für die Geltendmachung einer Verletzung durch Äquivalente im Zusammenhang mit diesen nicht beanspruchten Gegenständen darstellen.

Wenn die Beschreibung geändert wird (z. B. durch Entfernen von Ausführungsformen, die nicht mehr unter die Ansprüche fallen), haben die Verletzungsgerichte daher mehr Spielraum für die Auslegung des Schutzumfangs, auch im Rahmen der Äquivalenzlehre. Denn die nationalen deutschen Gerichte wenden nach aktuellem Stand der Rechtsprecheun keine „File-Wrapper-Estoppel“-Doktrin an und berücksichtigen etwaige gegenüber dem Prüfer geäußerte Gründe, warum ein Anmelder die Ansprüche geändert hat, nicht. Im Moment ist nicht klar, ob das EPG diesem deutschen Ansatz folgen wird, da zu diesem Thema zwei widersprüchliche Entscheidungen des EPG ergangen sind.

Aus prozessualer Sicht kann es, zumindest mit Blick auf Deutschland und unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung und Praxis, ratsam sein, die Beschreibung nach Änderung der Ansprüche proaktiv zu ändern, falls der herausgeschnittene Gegenstand geeignet sein könnte auch die anderen Anforderungen der Äquivalenzlehre zu erfüllen. Dies muss von Fall zu Fall geprüft werden.

Dr. Holger Tostmann - Patentanwalt, Partner

Thomas Schachl, LLM - Rechtsanwalt, Partner